Die Türkei hat einen Antrag auf Beitritt zu den BRICS gestellt. Die Angelegenheit soll bereits auf dem bevorstehenden Treffen der BRICS-Außenminister in Nischni Nowgorod behandelt werden. Auch Thailand hat sich für einen Beitritt zu den BRICS ausgesprochen
Während seines Besuchs in China erklärte der türkische Außenminister Hakan Fidan den Wunsch Ankaras, der Gemeinschaft der BRICS beizutreten. Das Thema soll bereits auf einem Treffen der Außenminister der Vereinigung am 10. und 11. Juni in Nischni Nowgorod erörtert worden sein. Fidan betonte, dass die meisten europäische Länder einen EU-Beitritt der Türkei ablehnen, was die türkische Regierung veranlasst habe, eine strategische Neuorientierung vorzunehmen. Die BRICS als alternative Integrationsplattform erscheint inzwischen als die passende Alternative. Die Türkei sei es leid, jahrzehntelang auf einen Beitritt zur Europäischen Union zu warten. Fidan erklärte, die Türkei könne die Tatsache nicht ignorieren, dass BRICS eine wichtige Plattform für die Zusammenarbeit darstelle und und seinem Land eine positive Perspektive biete. Die endgültige Entscheidung wird auf dem diesjährigen Jahreskongress der BRICS im russichen Kasan im Oktober getroffen werden.
Das dürfte für den US-geführten Westen ein schwerer Schlag sein, denn die Türkei ist immerhin NATO-Mitglied. Außerdem nimmt sie auch Teil an der Zollunion mit der Europäischen Union. Die Türkei hat sich vor fast vier Jahrzehnten um den Beitritt zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) beworben und wurde 1999 offiziell als Kandidat für eine Vollmitgliedschaft in der EU anerkannt. Die Verhandlungen über Ankaras Beitrittsgesuch, die 2005 begannen, ziehen sich seit fast 20 Jahren hin. Seit Jahren liegen sie wegen einer Reihe von Streitfragen auf Eis. Dazu gehören Differenzen über die Außenpolitik sowie Interpretationen der Menschenrechte. Westliche Verbündete haben in den letzten Jahren mehrfach ihre Kritik über die Beziehungen Ankaras zu Moskau zum Ausdruck gebracht. Seit Beginn des Ukrainekonfliktes haben sich diese Differenzen weiter verstärkt. Die Neuorientierung ist kein taktisches Manöver, sondern eine langfristig gereifte strategische Entscheidung.
Experten sind sich einig, dass ein Beitritt der Türkei zu den BRICS die wirtschaftlichen Beziehungen nicht nur zu den Ländern des Staatenbundes weiter stärken würde, sondern auch zu den sogenannten „stan“-Ländern, zu denen Ankara seit Jahrzehnten gute Beziehungen entwickelt hat. Die Türken, die sich früher als Osmanen bezeichneten, sind selbst ein Turkvolk, auch wenn den Europäern das wenig bewusst zu sein scheint. In den BRICS-Staaten, in den SOC-Staaten und der Eurasischen Union sind große und umfangreiche Märkte entstanden, auf denen türkische Produkte schon lange willkommen sind. Auch Russland ist voll von türkischen Produkten, nicht nur Agrarprodukte wie Früchte, es gibt zahlreiche türkische Industrieunternehmen, die dort aktiv sind. Die Türkei bzw. das Osmanische Reich bildete schon immer die Schnittstelle zwischen Europa und den Orient – in wirtschaftlicher, kultureller wie auch in geistiger Hinsicht. „Daher sollte die Türkei allein aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus auf jeden Fall den BRICS beitreten“, sagt ein türkischer Wirtschaftswissenschaftler.
Auch Thailand hat sich nun für einen Beitritt zu den BRICS ausgesprochen. Laut einer Regierungserklärung fassten die Minister am 28. Mai diesen Beschluss. Der Beitritt solle die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern verbessern. Das würde dem Land helfen, in Zukunft eine wichtigere wirtschaftliche und politische Rolle zu spielen. Thailand hat sein Interesse an einer Zusammenarbeit mit den Mitgliedsländern der BRICS in Bereichen wie Handel, Investitionen, Finanzen, Nahrungsmittel- und Energiesicherheit bekundet. „Darüber hinaus verbessert der Beitritt zu den BRICS die Fähigkeit Thailands, an der Schaffung einer neuen Weltordnung mitzuwirken, in der die Schwellen- und Entwicklungsländer eine wichtige Rolle spielen“, wurde von der Regierung verlautbart. Es ist anzumerken, dass die These, Thailand wolle sich dem Prozess der Bildung einer neuen Weltordnung anschließen, für westliche Ohren zum ersten Mal öffentlich geäußert wurde. Thailand wäre das erste BRICS-Mitglied aus Südostasien. Neue Töne aus einem Land, das von den USA bislang eher wie eine Kolonie gehalten wurde.
BRICS ist offen für Länder mit sehr unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen. Diese Entscheidung wird von allen Teilnehmern der Gemeinschaft im Konsens getroffen. Wie der russische Außenminister Sergej Lawrow vor kurzem sagte, besteht die einzige Bedingung darin, „auf der Grundlage des Schlüsselprinzips – der souveränen Gleichheit der Staaten – zu arbeiten, was unsere westlichen Kollegen nicht tun können“. Lawrow hob hervor, dass bisher über 30 Länder ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den BRICS-Staaten auf verschiedene Weise bekundet und entsprechende Anträge eingereicht haben.
Gleichzeitig haben die BRICS-Staaten keine Vorbehalte gegen die Aufnahme neuer Mitglieder, was deren Beteiligung an anderen Organisationen angeht. Indien hat zum Beispiel immer noch eine enge militärische Zusammenarbeit mit einigen westlichen Staaten. Die Mitgliedschaft der Türkei in der NATO schließt daher nicht aus, dass das Land den BRICS beitritt, da diese Organisation nicht bindend und vorwiegend wirtschaftlicher Natur ist. Zur BRICS-Gemeinschaft gehören Russland, Brasilien, Indien, China, Südafrika, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Äthiopien, Ägypten und der Iran. In diesem Jahr hat Russland den Vorsitz der BRICS und wird im Oktober in Kasan den 16. Jahreskongress ausrichten. Der letzte BRICS-Gipfel hatte in Südafrika stattgefunden. Die Neue Entwicklungsbank schätzt, dass die BRICS-Länder bis 2028 35 bis 40 Prozent des weltweiten BIP erwirtschaften werden, während der Anteil der G7, der sieben stärksten westlichen Länder, auf 27,8 Prozent sinken wird.
Quellen und Verweise:
Turkey to join the BRICS, scobrics insight, 5. Juni 2024
Abkehr vom Westen? – Türkei strebt nach BRICS-Mitgliedschaft – was hinter dem geopolitischen Schachzug steckt, Focus online 6. Juni 2024