Neue Umfrage: Kennedy holt auf

Zum ersten Mal liegt Robert F. Kennedy Jr. in den Umfragen für die US-Präsidentschaft bei 24 Prozent und damit in Schlagweite zu Joe Biden und Donald Trump

Robert F. Kennedy Jr. Autogrammstunde – Bild: Terryballard auf Wikipedia.org

Am 9. April 2023 hatte ich über die Chancen einer Wiederwahl Joe Bidens, des jetzigen US-Präsidenten, welcher der Demokratischen Partei angehört, hier in scienzz.de geschrieben: „Vor allem besteht als Dreh- und Angelpunkt die Aufgabe, den Ukrainekrieg als siegreichen Feldzug des gegenwärtigen US-Präsidenten […] zu verkaufen. Ohne einen „Sieg“ gegen Russland dürfte eine Wiederwahl des Demokraten chancenlos sein“ Genau diese Situation ist inzwischen eingetreten. Der Ukraine-Krieg ist verloren. Dies werde der Position Kennedys als Präsidentschaftskandidat zu Gute kommen. Neben dem Ukrainekrieg sowie seiner Covid-19 Politik wird dies dazu führen, dass andere Positionen auf die Tagesordnung kommen. Denn Kennedy ist der einzige Kandidat, der gegen die Neokonservativen auftritt und die offizielle Politik der Biden-Administration energisch kritisiert.

Anstatt mit Russland über einen Frieden in der Ukraine zu verhandeln, hat sich die Biden-Administration seit dem 7. Oktober in einen weiteren Krieg im Nahen Osten verstrickt. Den Krieg der Israelis gegen die Hamas im Gazastreifen. Wenig überraschend hat dementsprechend eine am 5. November 2023 veröffentlichte Umfrage des Siena College in fünf umstrittenen Bundesstaaten, die von der New York Times in Auftrag gegeben worden war, gezeigt, dass Kennedy kräftig aufgeholt hat. Wenn am 5. November 2024 nicht nur Joe Biden und Donald Trump, sondern auch der inzwischen als Unabhängiger kandidierende Robert F. Kennedy Jr. auf dem Wahlzettel stünden, dann würde Biden zum jetzigen Zeitpunkt 33 Prozent, Trump 35 Prozent und Kennedy 24 Prozent erhalten.

Diese 24 Prozent sind bei weitem der höchste Prozentsatz, der bisher für Kennedy in den Umfragen für die frühere hypothetische Vorwahl der Demokratischen Partei ermittelt wurde, wenn Biden und Kennedy auf dem Wahlzettel gestanden hätten. In diesen früheren Umfragen zwischen Biden und Kennedy lag dieser bei 15 bis 20 Prozent und Biden bei etwa 60 Prozent. Diese Sienna-Umfrage ist nun die erste für die drei Kandidaten – Biden, Trump, Kennedy – in der Letzterer nicht mehr für die Demokraten antritt. Sie zeigt, dass Kennedy zwölf Monate vor den Wahlen mit 24 Prozent die Möglichkeit hat, die Präsidentschaft als Unabhängiger zu gewinnen.

Wenn es den demokratischen und republikanischen Parteien nicht gelingt, diesen dritten Kandidaten, der nicht von einer der beiden Parteien aufgestellt wurde, von den Wahlgängen am 5. November 2024 – und von den Debatten im Wahlkampf – auszuschließen, und wenn es den beiden Parteien desweiteren nicht gelingt, Kennedys Zugang zu den Wahlurnen in genügend Staaten zu blockieren, dann hat dieser, nach der aktuellen Umfrage, eine reale Chance, die Wahl zu gewinnen. Um mehr als ein Drittel der abgegeben Stimmen auf sich zu vereinen, müsste er von Bidens derzeitigen 33 Prozent und Trumps derzeitigen 35 Prozent in Summe so viele Anhänger abwerben, um zusätzliche 10 Prozent oder mehr in seinem Lager zu ziehen.

Aber RFK Jr. wird es nicht so machen müssen wie weiland Bernie Sanders, denn er kandidiert jetzt ohne die Demokratische Partei als Unabhängiger und muss keine Rücksicht auf deren innerparteiliche Befindlichkeiten nehmen. Die 50 Prozent der schwarzen Wählerstimmen für Biden müssen also nicht unbedingt halten, wenn Kennedy politisch hart argumentiert und Biden als den Lügner entlarvt, der er immer war. Und wenn er dadurch Bidens derzeitige 33 Prozent um 6 Punkte auf 27 Prozent senkt und auch Trumps 35 Prozent um 4 Punkte auf 31 Prozent senkt und damit seine eigenen 24 Prozent um 10 auf 34 Prozent anhebt, dann könnte er trotz der beiden von Milliardären kontrollierten US-Parteien gewinnen. Das scheint nach heutigem Stand zwar nicht wahrscheinlich, aber unmöglich wäre es nicht. Es sind ja noch zwölf Monate bis zur Wahl und keiner weiss, was bis dahin noch alles passieren wird.

Aber jenseits der Rechenspiele über die drei Kandidaten, die bisher nur Spekulation sind, lässt sich feststellen, dass in der aktuellen Umfrage von Times/Siena eine Verschiebung in der politischen Landschaft der USA zu verzeichnen ist. Denn während die beiden Kandidaten Biden und Trump zwar unterschiedliche Parteien repräsentieren, sind sie letztlich beide Vertreter der Strömung der Neocons, also der Neokonservativen. Hier in Europa spricht man eher von Neoliberalismus. Es gibt also mit Kennedy zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine wirkliche Alternative zu den Neocons. Das macht diesen Wahlgang bzw. seine bis heute erkennbare Entwicklung so brisant und unberechenbar. Und es wird natürlich Auswirkungen auch auf die europäischen Vasallenstaaten haben. Worin besteht nun der Unterschied zwischen Biden/Trump und Kennedy?

Er liegt nicht darin begründet, dass die Führungsrolle der USA, also der Unilateralismus der gegenwärtigen Weltordnung, von einem der Kandidaten bestritten wird. Es geht auch nicht darum, dass möglicherweise eine Präsidentschaft Kennedys sich einer neuen Weltordnung, wie sie sich mit dem Entstehen der BRICS abzeichnet, nicht entgegenstellen würde. Auch Kennedy sieht in den USA „Gods Own Country“, also das einzigartige Land, das zur Führung dieser Welt ausersehen ist. Die wesentliche Unterscheidung besteht darin, dass Kennedy in der Tradition derer steht, die, wie sein ermordeter Onkel Präsident John F. Kenndy oder einer seiner Vorgänger, Franklin D. Roosevelt, diese Führungsrolle nicht primär und ausschließlich mit militärischer Gewalt glaubt durchsetzen zu müssen. Kennedy glaubt vielmehr daran, dass die Konflikte in der Welt – auch die innenpolitischen wie etwa die Rassenkonflikte – mit demokratischen Mitteln gelöst werden sollten.

Die Neocons, wie sie von Joe Biden, Antony Blinken, Jake Sullivan oder Victoria Nuland angeführt werden, verstehen sich als Eroberer. Sie haben ihre feste Weltsicht und teilen diese in Freund und Feind ein. Wer nicht für sie ist, der ist gegen sie. Also ihr Gegner, der unterworfen werden muss. Sie halten nicht viel von Diplomatie und Aushandeln von Einflußbereichen. Gerade die jüngsten Kriege in der Ukraine und in Israel belegen, dass die USA niemand wirklich überzeugen wollen. Sie streben die militärisch abgesicherte Weltherrschaft der amerikanischen Oligarchie an. Verhandelt wird nur aus taktischer Gründen. So wie gerade im Gazastreifen, wo von Biden eine „Pause“ fordert, um die Geiseln auszufliegen und die weltweite Empörung über die hohe Zahl der zivilen Opfer abkühlen zu lassen. Weder Biden noch Trump verstehen die Empörung vieler Staaten der Weltgemeinschaft und deren Wunsch, einen eigenen, selbstbestimmten Weg für ihre Zukunft zu suchen.

Dies hat auch, wie erwähnt, eine große Relevanz für Deutschland und die Europäische Union. Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg war nicht nur von Kalten Krieg gekennzeichnet, sondern auch davon, dass der Hegemon Amerika die Staaten des Westens als Verbündete angesehen hatte, wenn auch unter seiner konsequenten Führung. Seit der „Machtergreifung“ der Neocons hat nicht nur die sogenannte Osterweiterung der NATO stattgefunden, vielmehr sind nahezu alle Länder von Parteigängern der Neocons übernommen worden. Mit wenigen Ausnahmen, wozu weder Deutschland noch die EU gehören, werden die wesentlichen Entscheidungen – nicht nur die geostrategischen – in Washington getroffen. Ob die US-Wahlen im kommenden Jahr daran etwas ändern werden, bleibt offen. Aber wenn die Neocons sich durchsetzen, wäre dies eine weitere Stufe auf ihrem Weg zu einer allumfassenden globalen Diktatur.

Quellen und Verweise:
Cross-Tabs: October 2023 Times/Siena Poll of the 2024 Battlegrounds, New York Times Nov. 5, 2023
Kennedy 24, Kampagnenwebsite

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