Der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt voraus, dass mehr als die Hälfte des weltweiten Wachstums in diesem Jahr auf China und Indien entfallen wird, und unterstreicht damit die Stärke der asiatisch-pazifischen Region inmitten der wachsenden Unsicherheit über die US-Wirtschaft.
In meinem letzten Artikel über die Beschlüsse der G7 Konferenz vom 20. Mai 2023 in Hiroshima hatte ich dargelegt, dass China nun der Hauptgegner des globalen Westens sei. Vor allem aber auch, dass der „Rest der Welt“ sich an die vom US-Imperialismus aufgestellten Regeln und Werte zu halten habe. Das erscheint sehr machtbewusst, ja unduldsam. Und tatsächlich sprechen die historischen Erfahrungen eine eindeutige Sprache dergestalt, dass die Führungsmacht USA Wettbewerb mit Feindseligkeit gleichsetzt. Ein in den USA umlaufender Spruch formuliert das so:
„We will rule you or we kill you“.
Vom Koreakrieg bis zur aktuellen Intervention im Sudan zeigt sich, diese Verhaltensweise hat viele Länder eingeschüchtert, zumal die US-Militärmacht über mehr als 900 Stützpunkte in aller Welt verfügt und sich das rund 1,5 Billionen Dollar im Jahr 2023 kosten lässt. Hinzuzurechnen wären zu dieser Summe nochmals die Rüstungsausgaben der NATO-Mitgliedsstaaten.
Dem gegenüber wird von Autoren, Wissenschaftlern und Politikern des globalen Südens, also dem bereits zitierten „Rest der Welt“ immer häufiger vom „kollabierenden US-Imperialismus“ gesprochen. Nicht ohne Erleichterung. Das bezieht sich nicht nur auf den aktuellen Stellvertreterkrieg der USA in der Ukraine, den der Westen so gut wie verloren hat, auch wenn er noch nicht bereit ist, die Kämpfe einstellen zu lassen und einen Verhandlungsfrieden zu akzeptieren. Erkennen kann man es auch daran, wie die Systemmedien noch immer vom bevorstehenden Sieg Selenskys fantasieren und den Bürgern der EU- und NATO-Länder täglich die Hucke voll lügen. Deutschland ist in dieser Hinsicht, um ein möglicherweise nur ostdeutschen Bürgern geläufiges Bon Mot zu verwenden, ein „Tal der Ahnungslosen“. Das ist aber eher ein psychologisches Problem.
Die meisten Analytiker außerhalb der angloamerikanischen Welt belassen es aber nicht bei der Betrachtung aktueller Kriegsereignisse, sondern schauen sich seit Jahren die wirtschaftlichen Entwicklungen der beiden Blöcke an, die sich inzwischen herausgebildet haben. Das, was sich im politischen Bereich als neue Zusammenschlüsse wie BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) und SOZ (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, englisch SOC) herausgebildet hat, ist längst wirtschaftlich „unterfüttert“. Naturgemäß laufen die Entwicklungen in den einzelnen Ländern uneinheitlich, aber die Tendenz ist eindeutig. Vor Beginn der G7-Konferenz titelte am 3. Mai 2023 die japanische Zeitung NikkeiAsia: „China und Indien treiben die Hälfte des globalen Wirtschaftswachstums 2023“ an.
Der Internationale Währungsfond (IWF, im englischen IMF: International Monetary Fonds) sagt voraus, dass mehr als die Hälfte des weltweiten Wachstums in diesem Jahr auf China und Indien entfallen werde. Er prognostizierte weiter, dass das reale Bruttoinlandsprodukt des asiatisch-pazifischen Raums im Jahr 2023 um 4,6 Prozent steigen werde, eine Verbesserung um 0,3 Prozentpunkte gegenüber der Prognose vom Oktober letzten Jahres. Für die Weltwirtschaft erwartet er ein Wachstum von 2,8 Prozent. China wird nach Angaben des IWF 34,9 Prozent und Indien 15,4 Prozent des globalen Wachstums beisteuern. Dies ergibt zusammen 50,3 Prozent. Also ziemlich genau die Hälfte. Die asiatisch-pazifische Region als Ganzes wird voraussichtlich etwa 70 Prozent des weltweiten Wirtschaftswachstums ausmachen und ihre Präsenz in dem Maße erhöhen, wie sich das westliche Wachstum verlangsamt.
Und wenn wir schon bei Statistiken sind, sollte man die folgende nicht vergessen. Sie scheint den meisten Europäern nicht mehr bewusst zu sein. Der größte Kontinent der Erde ist Afro-Eurasien, auf dem 57 Prozent der Landfläche des Planeten und 86 Prozent der Menschheitsfamilie leben. Asien ist bei weitem die größte Landmasse und bildet die östlichen 82 Prozent des größten nördlichen Kontinents, nämlich Eurasien. Auf Asien entfallen 30 Prozent der Landfläche der Erde und 60 Prozent der Bevölkerung. Europa hat nur 6,8 Prozent der Landfläche des Planeten und 10 Prozent seiner Bevölkerung. Alle diese Gebiete liegen innerhalb des riesigen afro-eurasischen Kontinents. Sie alle, auch die Europäer, haben also Zugang zueinander, was einen großen natürlichen Vorteil darstellt. Im Gegensatz dazu umfasst die gesamte westliche Hemisphäre, einschließlich des gesamten amerikanischen Kontinents, nur 29 Prozent der Landfläche der Erde und nur 12 Prozent der Bevölkerung. Die beiden Amerikas sind einfach eine sehr große Insel im Vergleich zum Kontinent Afro-Eurasien.
Die Länder der Dritten Welt oder des „globalen Südens“ haben in der Geschichte darunter gelitten, Vasallen europäischer und amerikanischer Imperien gewesen zu sein. Sie wissen, dass Imperialismus keine Option für sie ist. Ihre Zukunft verlangt Gleichberechtigung und Nichteinmischung, gewissermaßen Win-Win im Umgang miteinander. Wer diesen Stand der globalen Entwicklung nicht verstanden hat, kann sich das Wort vom Strukturwandel sparen. Folglich werden die Milliardäre, die den globalen Westen regieren, wahrscheinlich nicht die Kooperation bekommen, die sie vom globalen Süden suchen, um sich dem Krieg des US-Imperiums zur Eroberung Russlands und Chinas anzuschließen. Das kann man am Scheitern der Sanktionspolitik des globalen Westens gegen Russland sehen. Das laute Getöse der westlichen Systemmedien kann sogar im Westen nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass Russland nicht in die Knie gezwungen wurde, sondern sich im Gegensatz zu den G7 Staaten wieder in einer Wachstumsphase befindet.
Der wirtschaftliche Aufstieg der „Tankstelle mit Atomwaffen“, wie Ex-Präsident Obama einmal spöttisch zu Russland sagte, ist nicht mit „chinesischer Unterstützung“ zu erklären, auch wenn die Strategen des Westens dies nicht wahrhaben wollen. Die G7-Konferenz in Hiroshima ist ein Zeugnis dafür. Auch dafür, dass der glorreiche Westen trotz aller militärischen Potenz die Bodenhaftung verloren hat. Der „klassische“ Kapitalismus des europäischen Abendlandes, der seit Ende des Zweiten Weltkrieges von den USA politisch wie militärisch dominiert war, hat sich inzwischen größtenteils aus dem produktiven Teil der Industrie zurückgezogen. Auch wenn vordergründig der Dienstleistungssektor für einzelne Unternehmen rentabler erscheinen mag und grundsätzlich die Lohnkosten für westliche Unternehmen in Asien profitabler sind, hat dies zu einer Verschiebung wirtschaftlicher Gewichte geführt, die den globalen Westen ins Leere laufen lässt.
Es ist kein Zufall, dass man im Westen längst von der „Finanz“industrie spricht, die ihre Profite aus Währungsgefällen, Dienstleistungen – die keine Wertschöpfungen sind, sondern bestehende Werte auffressen – und aus Rüstungsgeschäften bezieht. Und, auch das ist eine eindeutige Tendenz, die längst im Casino-Gezocke der Heuschrecken und Spieler aus den Reihen der Oligarchie versackt ist. Auch wenn Sie Ihre politischen „Major domini“ und ihre Hofschranzen von einer regelbasierten Ordnung quatschen lassen, haben Sie die Verbindung zur Wertschöpfung und zur Kultur der Mehrheit der Menschheitsfamilie verloren. Egal ob Finanzkrise 2007/2008, die Nullzinspolitik, gigantische Schulden oder Kriege – der westliche Kapitalismus steht am Rande des Abgrunds.
Selbst da wo im Westen noch produktives Kapital unterwegs ist, wurde seit der Pandemiepolitik bewusst eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt, die schwindelerregend ist. Die Lieferketten der asiatischen Produktionszentren werden dadurch nicht tangiert, ihre Dominanz wird zu Ungunsten westlicher Unternehmen zunehmen.
Die europäischen Völker, auch Deutschland, müssen sich entscheiden, ob sie mit dem anglo-amerikanischen Westen, sprich mit dem US-Imperialismus, in den Abgrund springen wollen, oder nicht. Ein Blick in die Geschichte mag dabei hilfreich sein. Denn vor der angeblichen Entdeckung Amerikas durch Columbus, war Europa Jahrtausende lang Teil eines nach damaligen Maßstäben entwickelten Wirtschaftsraumes auf dem afro-eurasischen Kontinent, der vom Pazifik bis an den Atlantik reichte. Die Entwicklung Europas hatte das nicht behindert, es hat sie befördert. Nicht über Gendern, Klima, Great Reset, künstliche Intelligenz, Transhumanismus oder Raumfahrt sollte der ideologische Diskurs geführt werden. Denn das sind nur die aktuellen Narrative des PR-Zirkus der Oligarchen.
Das entscheidende Thema ist, wohin gehören Europa und Deutschland und mit wem lässt sich eine gleichberechtigte Zukunft gestalten?
Quellen und Verweise:
Nikkei Asia
International Monetary Fonds IMF (dt. IWF)
IMF Globale Wirtschaftsdaten 2023
Shanghai Organisation for Cooperation SOC (dt. SOZ)